Drei Tage mit dem Demokratiebus in der Metropolregion

1. Tag: Fürth

Erwartungsvoll und bei warmem Wetter stehen wir in Fürth. Unser Test-Wahl-Lokal ist bereit zum Einsatz. Egal in welcher Stadt, sobald der Bus angerollt kommt, zieht er neugierige Blicke auf sich. Manche Menschen kommen offensiv auf uns zu, sobald sie erkannt haben, dass wir zum Bus-Team dazugehören. Häufig kommt sofort die Frage „Von welcher Partei (oder wie ich es hier in Franken viel öfter gehört habe „Badei“) seid ihr denn?“. Teilweise überrascht waren die Leute dann, wenn man die Überparteilichkeit betonte. Das war oft schon der beste Einstieg in Gespräche. Die Menschen fangen dann ganz von alleine an, etwas zu sagen.

 In Fürth stehen wir vor dem Paradiesbrunnen und gerade am Vormittag spreche ich eher mit älteren Menschen. Ein Mann erzählt mir, dass er sehr froh sei, dass nach dem zweiten Weltkrieg die Demokratie nach Deutschland kam. Aber immer wieder will er über „schönere Dinge als Politik“ sprechen und erzählt viel aus seinem Leben. Während Jürgen vom Bus-Team lange mit einem Mann diskutiert, spreche ich mit dessen Frau. Sie sagt mir: „Wir haben uns entschieden nicht mehr wählen zu gehen!“. Auf meine Nachfrage erklärt sie mir, dass sie immer enttäuscht wurde von der Politik. Nie sei etwas passiert. Nun werde die Politik in Deutschland von Amerika aus gesteuert. Diese Aussage habe ich auch in weiteren Gesprächen hin und wieder gehört. Im Verlauf unserer Unterhaltung stellt sich heraus, dass sie zu vielen Themen eine klare Einstellung hat und durchaus informiert und interessiert am politischen Geschehen ist. Es hat mich daher schon schockiert, dass selbst Menschen, die wissen wie sie zu bestimmten Themen stehen, sich dazu entscheiden, „aus Protest“ wie sie sagen und „um ein Zeichen zu setzen“, nicht mehr wählen gehen wollen.

 Ganz im Kontrast dazu steht eine Begegnung mit einem Mann aus Äquatorialguinea, der die Demokratie in Deutschland in höchsten Tönen lobt und sie sich sehnlichst für sein Land wünscht. Er bedauert, dass die Menschen in Deutschland häufig die Demokratie als selbstverständlich hinnehmen und nicht mehr dafür kämpfen. Diese Wahrnehmung habe ich auch aus anderen Unterhaltungen mit Menschen mitgenommen: Es wird viel geschimpft auf die Politik, die Politiker, das System und vieles mehr, aber dass es den Menschen weitestgehend gut geht und sie ihren Hobbies nachgehen können, ein Dach über dem Kopf haben und Kinder haben, die ein gutes Leben führen, das wird häufig nicht als Produkt der Politik gesehen.

Unser Test-Wahl-Lokal hat durch den auffälligen Bus natürlich große Konkurrenz. Trotz allem kommen immer wieder auch Menschen an unseren Pavillon und lesen die groß ausgedruckten Seiten aus dem Wahl-Hilfe-Heft. Immer wieder kommen Lehrer*innen vorbei und fragen, ob wir Material zum Thema Wahl und Demokratie haben. Ein Lehrer beschließt spontan am Nachmittag mit seiner Berufsschulklasse vorbei zu kommen. Eine Erstwählerin kommt gezielt auf uns zu und fragt, wie genau die Wahl funktioniert.

Gegen Nachmittag kommen auch ein paar Jugendliche zum Bus, die schon eine Zeit lang auf der anderen Seite des Platzes saßen. Stella vom Bus-Team unterhält sich mit ihnen. Die Ansichten der Jugendlichen schockieren uns alle: „Deutschland ist kein Deutschland mehr, weil es zu viele Ausländer gibt.“ sagt einer von ihnen. Deshalb tragen sie mit Edding aufgemalte Hakenkreuze, „HH“ und „88“ auf ihren Unterarmen. Der kleine achtjährige Bruder von einem der Jugendlichen hält sich zwei, drei Stunden bei uns am Bus auf.

Als ob das nicht schon Schock genug wäre, haben wir es kurz darauf offenbar mit einem Reichsbürger zu tun, der Jochen die „richtige deutsche Geschichtsschreibung“ erklären möchte. Für Shai vom Bus-Team geht es zu weit, als der Mann sagt, dass die KZs gar nicht die Kapazität gehabt hätten, sechs Millionen Juden umzubringen. Shai, der Nachfahre von Holocaust-Überlebenden ist, ruft schließlich die Polizei und ist enttäuscht von deren Reaktion: Sie kommen erst, wenn der Hitlergruß gezeigt wird oder Hakenkreuze getragen werden. Diese extremen Begegnungen stehen in einem krassen Gegensatz zur wunderbaren Arbeit, die das Café Elli macht, das mit seiner mobilen Fahrrad-Kaffee-Bar auch am Bus dabei steht. Als mobiles Café wird geflüchteten Frauen dabei geholfen einen Weg in den Arbeitsmarkt zu finden.

Tag 2: Nürnberg

Es tut gut, dass der zweite Tag in Nürnberg erst um 12 Uhr startet, denn ganz so leicht, ist der Tag in Fürth nicht zu verdauen. Eingerahmt von St. Elisabeth, St. Jakob und dem weißen Turm stehen wir in der prallen Sonne auf dem Jakobsplatz in Nürnberg. Ein Platz, der auf dem Weg vom Plärrer zur Innenstadt liegt und viel bevölkert zu sein scheint. Nach der täglichen Team-Besprechung, in der sich alle noch einmal vorstellen, geht es los. Heute sind die Allianz gegen Rechtsextremismus, Constanze und Matthias von der mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus und Mitglieder der Refukitchen mit ihrem Begegnungstisch als Unterstützung mit dabei.

Einige Menschen schauen im Vorbeigehen neugierig auf den Bus, aber treten oft nicht näher heran. Tritt man näher an sie heran, kommt häufig schon von allein eine Aussage, wie: „Es geht also um Demokratie?“ „Ja, genau. Wir wollen mit Ihnen und anderen Menschen über Demokratie sprechen. Was ist denn für Sie Demokratie?“ Mit der Frage stellt sich ziemlich schnell heraus, ob jemand Interesse hat, weiter über das Thema zu sprechen. Manche Menschen nicken einfach und sagen: „Demokratie ist gut.“ und gehen dann weiter. Klaus (Jahrgang 1947) antwortet auf die Frage mit: „Demokratie gibt’s in Deutschland nicht und hat’s auch noch nie gegeben.“ Eine Aussage mit der ich erst einmal umgehen muss. Aber ich bin interessiert warum er das so sieht. Er erzählt mir, dass es nur noch Verbote überall gibt und, dass eine Demokratie so nicht auszusehen hätte. Ich stelle fest, dass er erst einmal viel Frust über die Politiker ablassen muss („das sind alles Arschlöcher“) und ihn auch sonst sehr viel aufregt. Spannend finde ich jedoch, dass er danach etwas ruhiger wird und wir ein gutes Gespräch führen können. In vielen Punkten haben wir gegensätzliche Meinungen, aber es gibt auch gemeinsame Standpunkte. Das hätte ich am Anfang unseres Gesprächs nicht erwartet.

Eine Bereicherung ist auch, dass Samer (aus Syrien und aktiv bei Refukitchen) für einige Zeit zu unserer Unterhaltung dazu stößt. Ich habe das Gefühl, dass es etwas bei Klaus bewirkt, sich mit einem Syrer über das Sozialsystem oder den Krieg in Syrien zu unterhalten. Nach eineinhalb Stunden und einem gemeinsamen Foto vor dem Bus gehen wir wieder auseinander. Ich bin ziemlich müde, aber auch zufrieden mit dem Gespräch. Durch die lange und intensive Unterhaltung mit Klaus, führe ich danach eher kurze Gespräche. Ein russisches Pärchen, das gerade Urlaub in Nürnberg macht möchte sich unbedingt vor dem Bus fotografieren lassen. Gegen Abend werden es eher weniger Menschen, die gezielt an den Bus kommen.

Tag 3: Erlangen

Der Samstag in Erlangen startet mit einer Team-Besprechung im Bus, da es tatsächlich frisch draußen geworden ist. Ich erfahre, dass ein Team-Mitglied gestern in Bamberg nach drei sehr anstrengenden Gesprächen am Vormittag sich für den Rest des Tages zurückgezogen hat. In Erlangen ist sie aber wieder voller Energie und spricht mit vielen Menschen. Zunächst erscheint der Standort vor der Hugenottenkirche nicht optimal. Allerdings geht es nicht nur mir so, dass gerade durch die Nähe zu den Bushaltestellen ein ganz gemischtes Publikum auf uns aufmerksam wird. Viele nutzen die Wartezeit für ein kurzes Gespräch oder entscheiden sich sogar einen Bus später zu nehmen, um noch etwas an den Bus zu schreiben.

In Erlangen führe ich einige kürzere Gespräche, in denen die Leute oft ihre Begeisterung für die Idee des Demokratiebusses äußern. Oft höre ich von älteren Menschen, wie frustriert sie sind, dass ihre Kinder oder „die jungen Leute“ sich nicht mehr so sehr für Politik interessieren. Sie bemängeln, dass junge Menschen die Demokratie als selbstverständlich sehen und sich nicht genug dafür einsetzen. Ein Mann bringt es mit zwei Sätzen auf den Punkt: „Freiheit heißt nicht, dass ich tun und lassen kann, was ich will. Freiheit heißt, dass ich nicht das tun muss, was mir jemand aufzwingt.“ Häufig wird dies seiner Meinung nach nicht so gesehen. Ein anderer Passant erzählt mir von seiner Vorstellung von Demokratie: „In einer Demokratie sollten wir keine Parteien wählen, sondern Themen, wie zum Beispiel ‚Autofreie Stadt‘.“ Er bemängelt auch, dass man „keine Ahnung“ von den Leuten auf dem Wahlzettel hat. Deshalb ist er sehr erfreut, über die Pinnwand mit der aktuellen Wahl-Liste für die Landtags- und Bezirkstagswahl.

Direkt gegenüber des Demokratiebusses haben einige Parteien ihre Stände aufgebaut. So auch die CSU. Shai und das Filmteam können Joachim Herrmann (Bayerns amtierender Innenminister) für ein Interview im Bus gewinnen. Shai erzählt ihm unter anderem von seiner enttäuschenden Erfahrung mit der Polizei in Fürth. Herrmann sichert ihm zu, der Sache nachgehen zu wollen. Spontan entscheiden wir uns auch beim Stand der AFD ein paar Meter weiter vorbeizuschauen.

Einige andere junge Menschen, die offensichtlich eher links eingestellt sind, sprechen bereits mit dem Kandidaten der AFD. Shai und das Filmteam stellen dem Kandidaten ein paar Fragen, auf die er sehr allgemein antwortet. Von einem vorbeigehenden Passanten ist zu hören: „Widmet der AFD doch nicht so viel Aufmerksamkeit!“.

Insgesamt ist Erlangen ein sehr angenehmer letzter Tag. Das ist auch in der abschließenden Feedback-Runde mit dem Bus-Team zu hören. Das Team ist erschöpft, aber sehr zufrieden mit der Tour. Von dem Stopp in Pegnitz erzählen alle immer wieder sehr begeistert. Dort gebe es in der Stadt bereits einen Runden-Tisch-Demokratie und viele engagierte Menschen. Auch deshalb waren sie am Tag darauf umso mehr geschockt von den Begegnungen in Fürth. Dennoch sehen sie genau darin eben die Vielfalt der Gesellschaft. In der Abschlussrunde kommt auch zur Sprache, dass es hilfreich gewesen wäre, vor der Tour ein Argumentationstraining besucht zu haben. Abschließend nehme ich für mich mit, dass sich wirklich viele Menschen mit den unterschiedlichsten Einstellungen mittlerweile von der Politik abgehängt fühlen. Einige wissen nicht mehr wen sie wählen sollen und sind auch mit der letztenendes getroffenen Wahlentscheidung häufig nicht sehr zufrieden. Dies spiegelte sich auch darin wider, dass die „Causa Maaßen“ während der drei Tage brandaktuell war und das Handeln der Politiker*innen in diesem Fall für fast alle Menschen völlig unverständlich ist.